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Einarmiger Handstand auf dem Eis: Patrick Brunold ist neben seiner Leidenschaft Fußball das Freestyle Ice Skating perfektioniert. (Fotos: Hans-Joachim Bittner)
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Patrick Brunold als Fußball-Torwart für den TSV Teisendorf in der Bezirksliga Ost.

Der Außenseiter steht im Tor

Sein Leben ist dem Sport gewidmet. Dabei trägt er einen steten Kampf aus. Mit sich und den anderen. Um Anerkennung. Obwohl das, was er macht, absolute Qualität besitzt. Patrick Brunold, Fußballer und Ice-Freestyler, muss sich »durchboxen«, regelrecht. Er hat ADHS, die Aufmerksamkeitsdefizit- und Hyperaktivitätsstörung. Das macht ihm das Leben schwer, weil er verbal durchaus mal ein wenig unkontrolliert daherkommt.


Böse Absicht steckt nie dahinter, genauso wenig, wie er sich selbst dahinter versteckt. Im Gegenteil: Er geht offen und ehrlich damit um. Für den einen oder anderen ist das ein Problem, das bekommt er regelmäßig zu spüren. Er hat jedoch gelernt, mit der Krankheit im Reinen und niemandem böse zu sein.

Es ist eine ernstzunehmende Sache. Die »Störung« wurde bei Patrick Brunold bereits in Kindheitstagen diagnostiziert. In den »wirklich blöden Momenten« helfen ihm selbst zwei Tatsachen nicht: Dass er einer der besten Fußball-Torhüter nicht nur im Berchtesgadener Land, sondern im gesamten heimischen Kreis Inn/Salach ist. Und dass er im Winter – viel mehr als ein Ausgleich zum Kicken – atemberaubende »Kunststücke« in seinen Eishockey-Schlittschuhen auf den kalten Untergrund zaubert: Der 30-Jährige ist Freestyle Ice Skater, eine Art Breakdancer und Akrobat auf Eis. Das erfordert atemberaubende Körperbeherrschung und enorme Konzentration, um keine Bruchlandungen hinzulegen. Die Muskelanspannungen durchziehen seinen ganzen Körper. Bilder sagen mehr als tausend Worte: Man »muss« Patrick Brunold sehen, um komplett »zu verstehen«, was er macht.

Patrick Brunold wohnt in Piding. Sein Tagesablauf als Fußballer in der höchsten regionalen Spielklasse, der Bezirksliga, und als Eisläufer, gestaltet sich häufig wie folgt: 5 Uhr aufstehen, 6 bis 12 Uhr im Feuerwehrheim-Frühstücksservice in Bayerisch Gmain arbeiten, danach rasch nach Hause, umziehen, Sachen packen und ab in die rund 20 Kilometer entfernte Inzeller Eishalle, 14 bis 16 Uhr trainieren, neues probieren oder einen Videodreh mit Kameramann Ben Philipp absolvieren, bei dem er schon mal Vollgas geben muss, nach Hause fahren, eine Kleinigkeit essen, fertig machen fürs Fußball-Training beim TSV Teisendorf, das läuft von 18.30 bis oft 21 Uhr, duschen, am Ende des Tages versuchen, das gesammelte Videomaterial sichern, auswerten, bestenfalls noch schneiden. An den letzten vier Tagen einer Woche sieht das neben dem Beruf so aus: Donnerstag Fußballtraining, Freitag Eistraining, Samstag Bezirksliga-Spiel, danach noch ein »kleiner« Auftritt in der Inzeller oder Mühldorfer Eisdisco, Sonntag erneut aufs Eis. Fast unüberwindbare Überlappungen ergeben sich für Patrick Brunold dabei vor allem in der Phase der Fußball-Frühjahrsvorbereitung Anfang des Jahres mit Krafttraining und viel Laufen: »Obwohl mir beides mittlerweile oft körperliche Schmerzen bereitet. Wenn zudem ein Auftritt in Budapest wie Anfang Februar daherkommt – »da muss ich hin« – wird’s schon mal haarig. Sein Glück: »Mein Fußballcoach Elvis Nurikic und mein Kapitän Raimund Gasser in Teisendorf haben großes Verständnis, wenn ich deshalb mal im Training fehle.« Dass er niemals etwas schleifen lässt und immer zu 100 Prozent bei der Sache ist, wissen seine TSV-Teamkollegen.

Mit Ice Freestyle kann Patrick Brunold mittlerweile einen kleinen Teil seines keinesfalls ausufernden Lebensunterhalts bestreiten: Die Klicks auf seine kleinen Filme bei YouTube bringen etwas ein, es müssen jedoch Hunderttausende sein, damit es sich ein wenig lohnt. Dafür gibt er alles, ein »weniger« kennt er nicht, die Leidenschaft ist sein Lebenselixier. »Finanziell ist’s meist knapp. Ich reinvestiere ja viel, lege mir professionelles Video- und Foto-Equipment zu.« Das Schlittschuhlaufen ordnet er dem Ohne-Verdienst-Fußball unter. Selbst ein Testspiel ist Brunold wichtiger als ein Eisdisco-Auftritt vor mehreren hundert Besuchern, die – konträr zum Sport mit dem runden Leder – fast allein ihm zuschauen. Und exakt das seinem Abonnenten-Konto immer gut zu Gesicht steht. Bei all' diesen Dingen »crasht« er sich schon mal ein paar Muskelstränge und kann sich am Montag kaum noch rühren. »Mit 20 fiel mir das alles sehr viel leichter, mit nun Anfang 30 ist das anders. Meine Hüfte ist im Grunde kaputt. Aber noch kann ich beides nicht sein lassen, es macht noch zu viel Spaß.«

Patrick Brunold kam in Berchtesgaden zur Welt. Schon die Kindheit war von Schwierigkeiten begleitet, ab dem elften Lebensjahr im Internat. Er spielte ein wenig Fußball, den ersten Vereinskontakt gab’s dennoch erst mit 15 – im Grunde zu spät, um noch richtig durchzustarten. Doch sein nicht zu stoppender Ehrgeiz schlug einen anderen Weg ein. 2010 heuerte er beim FC Bischofswiesen an, die WM 2006 in Deutschland hatte zuvor ihr Übriges geleistet. »Sagen wir wie’s ist«, meint er heute mit einem Schulterzucken: »Ich als derjenige aus dem Internat, also der Außenseiter. Der Außenseiter ist uncool. Der Außenseiter steht im Tor. Die coolen Kinder sind die Stürmer.« Die einzige Möglichkeit, um Aufmerksamkeit zu erreichen war und ist – damals wie heute: »Tore der Coolen verhindern. Denn als Keeper bist du oft der Depp. Gewinnt die Mannschaft, bist du rasch der Held, verliert sie, bist du nicht selten ganz allein an allem schuld.« Dank seines Kampf-Charakters entwickelte Patrick Brunold an seinem »uncoolen Dasein zwischen den Pfosten« und trotz seiner Krankheit rasch so etwas wie Freude. Wenngleich sich bei ihm Spaß wie Ärger hie und da »außergewöhnlich« darstellen: Da fliegt in all' der Emotion und Anspannung schon mal ein verbal völlig unpassender Schrei über'n Platz, mit dem nicht alle – vor allem jene, die nicht von seiner Krankheit wissen – umgehen können. Bei den Trainern Andi Maltan, Athanassios »Sacki« Moralis, Aki Senger und Helmut Motz lernte er das Fußballspielen: »Am Anfang an konnte ich den Ball weiter werfen als schießen«, muss er heute darüber lachen. Er trainierte oft, bis Senger das Riedherrn-Flutlicht ausschaltete. Bei gleich sechs FCB-Torhütern hatte Brunold einen schweren Stand, die Nummer eins – das ewige Keeper-Ziel – zu werden. Goalie-Kollege Michi Flunk machte ihm Mut, dranzubleiben. Brunold spielte fast nur in der zweiten Bischofswieser Mannschaft, an Einser-Keeper Stefan Schnitzl-baumer kam er aus vielerlei Gründen nicht vorbei. Er folgte dem Rat, sich einen Verein zu suchen, in dem er die erste Geige spielen würde. Da kam unverhofft ein Angebot des WSC Bayerisch Gmain, über Brunolds früheren Betreuer Toni Alff, den heutigen Vereinsvorstand. Von einem A-Klassen-Abstiegskandidaten ging’s 2015 zu einem Aufstiegskandidaten, der Sprung in die Kreisklasse gelang dem damals 22-Jährigen beim WSC trotzdem nicht: Trotz eines intensiven Trainings zusammen mit dem »unfassbaren Fußballfachmann Florian Huber«, der ihm so viel beigebracht hat und ohne den er heute nicht dort stünde, wo er steht.

Abschied »nie richtig«

Dass er sich vermeintlich »nie richtig« von seinen Vereinen verabschiedete, ist mitunter seinem »Honig im Kopf« geschuldet. »Bei mir kann sowas einfach nicht normal laufen«, weiß er selbst. Weil er menschliche Enttäuschungen und Kommentare, er sei für dies oder jenes zu schlecht, so schwer verarbeiten kann. »Umso dankbarer bin ich, dass mir der WSC diesen Abgang mittlerweile verziehen hat.« Aus der GmoaArena heraus schaffte er den kaum für möglich gehaltenen Sprung in die Bezirksliga, also um gleich drei Niveaustufen nach oben: Mit dem TSV Teisendorf, bis heute. Doch Patrick Brunold eckt immer wieder mal an: »Ich habe eine schwierige Art, soziale Schwächen, das weiß ich alles. Mit schwerem ADHS ist das kein Wunder, und keine Ausrede. Ich werde das nie komplett in den Griff bekommen.« Und so geht der Kampf um Anerkennung gnadenlos weiter: »Weil mich die Menschen nicht an meiner Krankheit, sondern an ›normalen‹ Maßstäben messen.« Diesen »Test« kann er nicht bestehen: »Ich disqualifiziere mich bei vielen unbewusst und unabsichtlich.« All dem zum Trotz war und ist er seit 2014 bis heute bei beiden Vereinen, für die er »richtig spielte«, durchgehend die Nummer eins im Tor.

Auf dem Eis stand Patrick Brunold erstmals Ende 1996, da war er knapp drei. Sein Vater Adolf, Bayerischer Juniorenmeister im Boxen, Biathlon-Athlet und Gründer der Berchtesgadener Drachenflieger, war die treibende Kraft. »Für mich war’s ein Desaster«, die Sport-Begeisterung kam erst mit der Pubertät.

Auf den Schlittschuhen begann er selbstständig eine erstaunliche Entwicklung, begann mit ersten Tricks. Hans Pflug verkaufte ihm irgendwann für 400 Euro – »ein Wahnsinn für mich« – echte Eishockey-Schlittschuhe, nachdem er zuvor in primitiven Discount-Plastikdingern rumstolperte. Schlagartig verbesserte Brunold durch die erhaltene Stabilität sein Level. 2011 entdeckte er ein Video, indem genau das, was er schon lange versuchte, auf einem deutlich höheren Niveau gezeigt wurde: »Genau das wollte ich auch machen, über Leute springen und in den Kurven aufs Eis greifen.« Die schier endlose Trick-Vielfalt ist das, was ihn nach wie vor fasziniert und die Begeisterung hochhält. Seine Kunst heute: Möglichst kurz und prägnant viele Informationen in bewegten Bildern festzuhalten und spannend in die Öffentlichkeit zu transportieren: »Ich will junge Leute für den Sport statt fürs Handy begeistern.«

Als sein Vater 2015 unerwartet rasch an Krebs starb, fiel Patrick in ein tiefes Loch. Zwischen Arbeitslosigkeit und Lethargie war er auf der Suche nach dem Sinn des Lebens, kaufte einen Computer und brachte sich selbst das Videodrehen und -schneiden bei. Die Gründung des YouTube- und Instagram-Kanals »Alpine Ice Freestyle« stellte seine Leidenschaft auf professionelle Füße. Brunold wurde einer der bekanntesten seines Fachs: 360 Grad-Sprünge über acht am Boden liegende Menschen oder mit Rampe über zwei Meter hohe Hindernisse – in seiner besten Zeit gab es kaum Superlative, die er nicht meisterte. Im gegenseitigen Sportartenwechsel mit dem Fußball profitiert Brunold von Sprungkraft, Reaktionsvermögen und Körperbeherrschung: »Es ergänzt sich gut, selbst wenn mir so mancher Eislauf-Muskel im Fußballtor im Weg steht«, schmunzelt er.

Hans-Joachim Bittner