Seit 1882 Berchtesgadener Heimatzeitung

 

Pikantes, Belehrendes und Erheiterndes

Die erste Ausgabe des Berchtesgadener Anzeigers kam am 6.12.1882 auf den Markt, mit dem Versprechen »nicht nur alle amtlichen Berichte des Bezirkes, sondern auch alle wichtigeren Lokal-Nachrichten, mitunter auch die neuesten politischen Ereignisse« zu bringen. Initiator war der damals 43-jährige Berchtesgadener Ludwig Vonderthann, von Beruf Dekorationsmaler, Buchhändler und (später) Druckereibesitzer. Das vierseitige Blatt trug den Titel Berchtesgadner Anzeiger, erschien zweimal die Woche, mittwochs und sonntags. Angekündigt wurde in der Erstnummer auch Unterhaltendes »durch pikante, belehrende und erheiternde« Erzählungen.
Zum 20-jährigen Jubiläum knapp nach der Jahrhundertwende präsentiert sich das Blatt im doppelten Format; der efeuumrankte Titel verrät den herrschenden Jugendstil. Lokalnachrichten und unterhaltsame Stoffe nehmen den breitesten Raum ein. Im Dezember 1920 wurde der Erscheinungs-Rhythmus umgestellt. Nun kam das Blatt Montag, Mittwoch, Freitag und Samstag heraus. Von 1922 bis 1925 wurde die Freitagausgabe wieder eingestellt, ein Tribut an die galoppierende Inflation. Seit 3.1.1927 erschien die Zeitung werktäglich.

Ein Bild der »Titanic«

Erstmals am 20. April 1912 rückte die Redaktion eine Zeichnung ins Blatt, »um unseren Lesern ein ungefähres Bild der furchtbaren Katastrophe zu geben«. Gemeint war der Untergang des damals größten Ozeandampfers der Welt, der Titanic. Zum vierzigjährigen Jubiläum 1922 erscheint derBerchtesgadener Anzeiger in schlichterem Kleid. Neben dem Illustrierten Sonntagsblattbekommt der Berchtesgadener Abonnent auch noch die »Bergheimat« mit dem Anzeiger frei Haus geliefert. Die Auflage des im Flachdruck produzierten Blattes liegt mittlerweile vermutlich bei knapp 2000 Stück, der durchschnittliche Umfang pro Ausgabe lag bei vier Seiten. Die Inflation geht auch am Anzeiger nicht spurlos vorüber. Ende 1922 muss der Abonnent für die Hauszustellung und die Postzustellung gleichermaßen 60 Mk monatlich berappen. Ein knappes Jahr später, am 17. November 1923, kostet der Monatsbezug 650 Millionen Mk, während zwei Tage später dafür nur noch 0,50 Goldmark zu bezahlen sind.

Ruhe in Hitlers »Wahlheimat«

Als der 28-jährige Parteigenosse Max Kammerer im Frühjahr 1933 daran ging, im Partei-Doppelkreis Berchtesgaden-Laufen den Herrschaftsanspruch der NSDAP durchzusetzen, erwartete ihn keine leichte Aufgabe. Zwar war es für Kammerer und die örtlichen Parteigenossen ausgemachte Sache, dass Berchtesgadener Anzeiger und Reichenhaller Tagblatt ihren Veröffentlichungs-Wünschen nachzukommen hatten; darüber hinaus auch den ökonomischen Status der beiden Zeitungen anzutasten, stand fürs erste jedoch nicht zur Debatte. Die Zurückhaltung Kammerers und die flexible Haltung L.P. Millers, dem Enkel des Zeitungsgründers, ermöglichten es dem Blatt, nach der Machtergreifung mindestens geduldet zu werden. Da Verleger Miller und Hauptschriftleiter Henninger der NSDAP beitraten, votierte der Ortsgruppenleiter für die Anerkennung der Zeitung als Veröffentlichungsorgan der Partei und die Beibehaltung des Schriftleiters. Millers vorsichtiges Taktieren zahlte sich aus. Der Anzeiger konnte stetig leichte Zugewinne verzeichnen. Im Krieg schließlich erfreute sich die Zeitung des als Flieger hochdekorierten Verlegers der aktiven Unterstützung der lokalen Parteiführer und konnte unter der Ägide seiner Frau Charlotte Miller bis Kriegsende erscheinen. Bereits 1937 war der Betrieb zweigeteilt worden. Die Schwester des Verlegers, Victoria Mahlo, behielt die Buchhandlung. Verlag und Druckerei betreute Ludwig P. Miller. Als Altverleger erhielten Millers nach dem Zweiten Weltkrieg zunächst keine Lizenz von der amerikanischen Militärregierung, sondern mussten mit der Herausgabe bis zur Generallizenz 1949 warten. Der erste Leitartikel der wiedererstandenen Zeitung am 2. September 1949 stellte die Berichterstattung unter das Motto: »kurz und gut, taktvoll und sauber«.

Auf der neuen, achtseitigen Rotationsdruckmaschine wurden regelmäßig zwischen acht und zwölf Seiten im Berliner Format gedruckt. 1962 tauschte man die Rotation gegen eine zwölfseitiges Modell. 1978 hielt der Fotosatz Einzug, und seit 1986 arbeitet die Redaktion mit Computern. In den 90er-Jahren erfolgte die Umstellung auf EDV unterstützte Ganzseitenproduktion, ebenso die Verwendung von Digitalfotografie. Die Texte der Deutschen Presse Agentur dpa erreichen die Redaktion inzwischen per Satellit, um anschließend über einen Rechner ins Redaktionssystem eingespeist zu werden. 1982 verlagerte man den technischen Betrieb nach Bischofswiesen, seit 1995 wird der Anzeiger im Offsetdruck hergestellt. Die inzwischen erneut erweiterte Druckmaschine ermöglicht flexiblen Vierfarbendruck für redaktionellen und Anzeigenteil. Der überregionale politische Teil wird in Kooperation mit dem Traunsteiner Tagblatt hergestellt. DerAnzeiger erscheint inzwischen sechsmal in der Woche, der Umfang erreicht dabei bis zu 48 Seiten, die Wochenausgabe normal 20 Seiten. Die Berchtesgadener Anzeiger Druckerei und Verlag E. Melcher GmbH & Co. KG ist inzwischen eine Kommanditgesellschaft. Erich Melcher, der seit 1946 für den Berchtesgadener Anzeiger arbeitet, übernahm 1972 die Leitung von Druckerei und Verlag. Seit dem Tod von Verleger L.P. Miller führte E. Melcher das Unternehmen weiter. Geschäftsführer der Berchtesgadener Anzeiger Druck- und Verlag E. Melcher GmbH & Co KG waren anschließend sein Schwiegersohn Dipl. Kfm. Wolfgang Krawehl und seine Tochter Dr. Iris Melcher. 

Im Jahr 2007 schloss sich der Kreis der Verlagsgeschichte: Thomas Miller, Verleger des Traunsteiner Tagblatts, übernahm den »Berchtesgadener Anzeiger« und fungiert seit 2008 als Verleger und Geschäftsführer auch der Berchtesgadener Heimatzeitung und ihrer Druckerei.


gekürzte und aktualisierte Version aus der
Enzyklopädie der Bayerischen Tagespresse
München 1990.